Lina Röger (18 Jahre) lebt in Potsdam, Deutschland. Sie war vor zwei Jahren zum ersten Mal in Chile und im Rahmen des Austauschprogramms an unserer Schule. Damals besuchte sie die 10. Klasse (II° Medio) zwischen Mai und August und wurde von der Gastfamilie der Schülerin Fernanda Quintana aufgenommen. Nachdem sie in diesem Jahr ihr Abitur absolviert hatte, wollte sie nochmal nach Südamerika kommen. Sie war jedoch zunächst in Guatemala und dann in Chile an unserer Schule.
In diesem Interview berichtet sie über ihre damaligen Erfahrungen als Austauschschülerin und ihre heutigen Eindrücke, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse in Chile.
Du warst 2017 als Austauschschülerin in Chile. Was hattest du für Erfahrungen? Hattest du vorher schon andere Länder bereist?
Ich war vorher schon einmal für 2 Wochen in England und auch in Polen. Da haben wir erlebt, wie es ist, bei einer Familie zu wohnen. Es war aber natürlich etwas Anderes, in ein spanischsprachiges Land zu reisen, da ich damals nicht so gut Spanisch sprechen konnte wie Englisch.
Hier in Chile wurde ich sehr nett aufgenommen. Wir waren 8 Schüler aus meiner Schule und hatten als Vorgabe, jeden Tag für 6 Stunden zum Unterricht zu erscheinen. Danach stand es uns frei, noch länger zu bleiben oder etwas anderes zu machen. Ich fand die Schule und den Unterricht sehr spannend, sodass ich eigentlich immer so lange geblieben bin, wie meine Gastschwester. Außerdem habe ich mit Freude die Möglichkeit genutzt, nach dem Unterricht an der Schule zum Geräteturnen zu gehen.
Ich war von der Schule und dem großen Gebäude sehr erstaunt. Es gibt ja in Deutschland eigentlich keine Schulen, die vom Kindergarten bis zur 12. Klasse gehen. Dieses große Gelände hat mich sehr beeindruckt. Ich mag auch die Uniform und finde es schade, dass es so etwas in Deutschland so gut wie gar nicht gibt. Meine chilenischen Mitschüler waren sehr über meine Teilnahme am Unterricht überrascht. Ich saß neben den Chilenen und habe die Aufgaben und auch die Prüfungen mitgemacht. Das fanden alle schön.
Mit der Familie war es auch super nett. Ich habe praktisch die ganze Familie kennen gelernt. Wir haben Skiurlaub in Pucón gemacht. Ich war sogar im Pazifik mit den Großeltern. Sie sind wie eine zweite Familie für mich. Außer den Reisen mit der Familie hatten wir als Austauschschüler noch die Möglichkeit, in den Norden in die Atacamawüste zu reisen. Das war ein sehr beeindruckendes Erlebnis.
Nach den 3 Monaten war ich sehr traurig darüber zu gehen. Die Zeit in Chile war echt wunderschön, aber das Heimweh war trotzdem da und für mich waren 3 Monate die perfekte Zeitspanne.
Wie war dann die Erfahrung, als deine Gastschwester Fernanda dich in Deutschland besuchte (Dezember bis Februar 2017/2018)?
Es war echt toll, ihr dann auch meine Welt zu zeigen. Wie mein Alltag aussieht und auch meine Stadt. Sie hat alles mitgemacht und ist als richtiges Familienmitglied zu allen Weihnachts- und Silvesterfeiern mitgekommen. Am Ende ihres Aufenthalts waren wir sogar gemeinsam im Skiurlaub in Italien. Die Zeit war echt schön und ich habe mich darüber gefreut, ihr nun für alles, was ich von ihr in Chile bekommen habe, etwas zurück geben zu können.
Wieso bist du noch einmal in diesem Jahr nach Chile gekommen?
Ich habe im Juli mein Abitur gemacht. Ich war sehr stolz, dass ich, auch durch meinen Aufenthalt in Chile, die mündliche Prüfung auf Spanisch machen konnte. Ich wusste, dass ich nicht sofort studieren wollte und hatte den Wunsch, nochmal zu reisen und eine Art verkürztes „Freiwilliges Soziales Jahr“ zu machen. Ich wollte nochmal nach Südamerika und irgendetwas mit Kindern arbeiten. Bei einer Internetrecherche bin ich auf die Organisation “Proyecto Mosáico” gestoßen, mit deren Hilfe ich 2 Monate in Guatemala war, wo ich in einem Hort für Kinder von 4-13 Jahren geholfen habe. Und da ich schon mal auf dieser Seite der Erde war, wollte ich noch einmal nach Chile kommen, um meine Gastfamilie und meine Freunde zu besuchen. Ich war dann Ende Oktober bis Anfang November für zwei Wochen hier.
Welche Unterschiede siehst du zwischen Guatemala und Chile?
Von der Natur her ist Guatemala ganz anders. Das Land liegt in den Subtropen und ist dadurch sehr grün, Dschungel eben. Außerdem merkt man eindeutig die Wurzeln der Mayas, da viele Guatemalteken noch in den traditionellen Trachten rumlaufen. Aber der Charme von Südamerika ist gleich. Die Menschen sind einfach total nett.
Du hast nun hautnah die nationale Krise in Chile, die am 18. Oktober begann, erlebt. Was sind deine Eindrücke oder Empfindungen?
Es fing schon die Woche vor meiner Ankunft an. Als ich von der Situation in Chile erfahren habe, habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob es eine gute Idee ist, herzukommen und ob ich überhaupt ankommen würde. Eine Freundin in Santiago hat es sehr nah miterlebt. Der Flughafen war auch gesperrt.
Doch die Situation hatte sich soweit beruhigt, dass ich herkommen konnte und zunächst habe ich gar nichts von den Unruhen mitbekommen. Aber beim näheren Hingucken habe ich dann verbrannte und zerstörte Häuser gesehen. Das war dann doch etwas beunruhigend. Deshalb werde ich auch erst einmal nicht nach Valparaíso gehen.
Ich habe auch mit meiner Gastfamilie viel und frei über die Lage reden können. Für mich ist es völlig unverständlich, wie man mit friedlichen Protesten Dinge zerstören kann, die alle brauchen. Der Gedanke dahinter erklärt sich für mich nicht.
Wie sehen deine Zukunftspläne aus?
Ich werde noch bis zum nächsten Sommer (bis Juni/Juli 2020) in Deutschland etwas arbeiten und das Leben mit meiner Familie genießen. Danach möchte ich eine Ausbildung zur Fluglotsin in Frankfurt machen. Eigentlich war es mein Wunsch, Lehrerin zu werden, aber dann habe ich einen Artikel darüber entdeckt, dass in Deutschland händeringend Fluglotsen gebraucht werden. Ich habe mich über den Beruf informiert und sogar den Tower am Berliner Flughafen besucht. Danach war ich davon überzeugt, dass diese Arbeit genau das Richtige für mich ist und habe mich beworben. Ob ich die Ausbildung antreten kann, hängt davon ab, ob ich das Auswahlverfahren Ende November bestehe.
Wir danken für das Interview.